In Gewässern steigt das Reservoir an Resistenzgenen an
Helmut Bürgmann, Umweltökologe, spricht über den Stand der Forschung zu Massnahmen, die Antibiotikaresistenzen in Gewässern eindämmen könnten.
Probenentnahme stromabwärts von einer Abwasserreinigungsanlage | © Karin Beck, Eawag
Gewässer spielen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in und über die Umwelt. Massnahmen, die in diesem Bereich die Resistenzproblematik mindern könnten, diskutierten über vierzig internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom 16. bis 19. September in Ascona.
Helmut Bürgmann, Hauptorganisator der HEARD-Konferenz (HEARD steht für «Halting Antimicrobial Resistance Dissemination in Aquatic Environments») und Forschender des NFP 72, zeigt sich im Interview optimistisch, dass die Forschung relativ schnell konkrete Lösungsansätze liefern kann – den entsprechenden Willen seitens der Politik vorausgesetzt.
Herr Bürgmann, an der HEARD-Konferenz* haben Sie mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt vier Tage lang den aktuellen Kenntnisstand zu antimikrobieller Resistenz im Wasserkreislauf diskutiert. Bezogen auf Massnahmen, die den Kampf gegen Resistenzen unterstützen: Wo stehen wir?
Unser Forschungsfeld ist recht jung, hat in den letzten Jahren jedoch grosse Fortschritte erzielt. Vor allem die Methoden entwickeln sich schnell und machen eine Vielzahl von Anwendungen möglich.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Forschende haben etwa in Proben aus Toiletten und Abwasserreinigungsanlagen an einem deutschen Flughafen problematische antibiotikaresistente Escherichia coli-Bakterien, und generell eine grosse Vielfalt von Resistenz-Genen nachgewiesen. Dank schneller Genanalysen wäre es heute möglich die Abwassersysteme von Flughäfen routinemässig zu überwachen und zeitnah festzustellen, wenn sich problematische resistente Erreger durch den internationalen Flugverkehr ausbreiten.
Das wäre ohne grösseren Aufwand umsetzbar?
Damit so ein System flächendeckend funktioniert, muss zunächst in internationalen Standards festgelegt werden, nach was wir eigentlich genau suchen. Auch müssen wir die richtigen Marker kennen, die auf tatsächlich klinisch relevante Resistenzen hinweisen. Diesbezüglich dreht sich die Diskussion im Moment auch immer wieder um die Festlegung von zuverlässigen Schwellenwerten, also um die Frage, ab wann eine Resistenz kritisch ist. An der HEARD-Konferenz haben wir viele gute Studienbeispiele gehört, die sehr mächtige Methoden einsetzen, welche sehr viel Information liefern. Doch ob daraus allgemein einsetzbare Instrumente hervorgehen, wird sich in weiteren Tests weisen müssen. Ganz wichtig ist auf jeden Fall auch die Entwicklung von einfachen Testverfahren, die zum Beispiel von Praktikern in den Kantonslaboren mühelos angewendet werden können.
Gerade über vereinfachende Methoden wurde ja an der HEARD-Konferenz in Kleingruppen viel diskutiert.
In diesem Bereich ist der enge Austausch sehr wichtig. Denn es geht darum, ganz praktische Aspekte verschiedener Methoden anzuschauen. Dabei stösst man manchmal auf unerwartete Lösungsansätze, die man in keinem wissenschaftlichen Journal findet, die aber für die konkrete Arbeit entscheidend sein können. Genau darin liegen der Vorteil und der Charme einer kleinen Konferenz wie der unsrigen: Die Teilnehmenden hatten genügend Zeit für persönliche Diskussionen. Übrigens auch zwischen führenden Forschungspersönlichkeiten und dem Nachwuchs, der rund einen Drittel ausmachte.
Besonders in der Humanmedizin werden derzeit viele neue und einfache Testinstrumente entwickelt, um schnell Resistenzen nachzuweisen. Profitiert davon auch der Umweltbereich?
In der Umwelt haben wir es mit einer sehr viel grösseren Vielfalt an Mikroorganismen zu tun als in der Humanmedizin. Ansätze aus der Klinik sind für uns deshalb nur mit erheblichen Anpassungen geeignet. Noch schwieriger wird es, wenn wir über die reine Überwachung hinausgehen und grundlegende Fragen aufklären wollen, etwa über welche Transportvehikel sich verschiedene Resistenzen in der Umwelt verbreiten, oder wie sich Antibiotikakombinationen auf ein Ökosystem auswirken. Hier profitieren wir davon, dass die Genanalyse generell riesige Fortschritte gemacht hat und wir heute die Gesamtheit aller Resistenzgene einer Probe oder gar eines Ökosystems in kurzer Zeit erfassen können.
Wieso ist das wichtig?
Weil sich Resistenzen nicht nur über Krankheitserreger ausbreiten, sondern auch über andere Bakterien. Wir benötigen also ein breiteres Bild resistenter Bakterien, um die Entstehung und Ausbreitung von Resistenzen in der Umwelt zu verstehen.
Ein weiterer Aspekt, den Sie auch im Rahmen des NFP 72 untersuchen, ist die Einschätzung von Risiken, die von Resistenzen in Gewässern ausgehen. Wo steht da die Wissenschaft?
Man muss differenzieren: Wir teilen die Risikoanalyse grob in zwei Aspekte auf, die sich vor allem durch unterschiedliche Komplexität und Kommunizierbarkeit unterscheiden. Wir haben bereits eine gute Basis für die Bestimmung von unmittelbaren Risiken, etwa jenem, sich beim Baden mit resistenten Bakterien zu infizieren. Die Weiterverbreitung von Krankheitserregern im Wasser und das damit verbundene Ansteckungsrisiko ist eine Folge des Verschmutzungsgrades. Mit entsprechenden Zeichen von Seiten des Gesetzgebers auf nationaler, europäischer oder gar globaler Ebene könnten innert nützlicher Frist geeignete Methoden und Grenzwerte bestimmt werden.
Wenn man konkrete Risiken feststellt: Wie lassen sie sich vermindern?
Bei zu hohen Werten könnte zum Beispiel unterhalb des Einflusses einer Abwasserreinigungsanlage der Kontakt mit dem Wasser wirksam reguliert werden, etwa mit temporären Badeverboten. Oder man könnte Desinfektionsverfahren einsetzen, zum Beispiel bei Anlagen, in denen man ohnehin eine Ozonung für die Entfernung von Mikroschadstoffen installiert. In Indien oder Südostasien, wo in diesem Bereich weit grössere Probleme bestehen, liessen sich die Risiken mit Sanitäreinrichtungen effizient und relativ preiswert reduzieren.
Sie haben noch andere Gruppen von Risiken angesprochen.
Genau, nämlich die chronischen, langfristigen Risiken, die schwer messbar und auch schwerer verständlich sind. In den Gewässern und generell in der Umwelt steigt das Reservoir an Resistenzgenen stetig an – weil immer mehr Fäkalbakterien, Antibiotikarückstände, Desinfektionsmittel, pharmazeutische Abfälle und so weiter eingetragen werden. Aus diesem Reservoir können sich die Krankheitserreger der Zukunft bedienen. Der eher zufällige Prozess, dass sich ein Krankheitserreger neue Resistenzen aneignet, wird wahrscheinlicher, weil die Zahl von Resistenztransfers steigt. Wir haben es mit einer immer grösser werdenden Bugwelle zu tun, die uns überfluten könnte.
Doch die genauen Risiken lassen sich nicht abschätzen?
Sie lassen sich nur ungefähr abschätzen. Hundertprozentig exakte Werkzeuge werden wir wahrscheinlich nie entwickeln können. Und das macht es natürlich nochmals schwieriger, diese ohnehin schon komplexen Prozesse als konkrete Risiken zu kommunizieren.
Gäbe es denn auch in Bezug auf dieses Resistenzreservoir konkrete Handlungsoptionen, um die Entwicklung neuer Antibiotikaresistenzen zu vermeiden?
Was die wichtigsten Massnahmen betrifft, ist die Situation in der Schweiz und in Europa im Moment relativ gut. Ein ganzes Bündel von Massnahmen greift bereits oder wird derzeit umgesetzt, von der Regulierung des Antibiotikaeinsatzes bei Mensch und Tier über die Abwasseraufbereitung bis hin zur Lebensmittel- und Trinkwasserhygiene. Hingegen zeigen eher anekdotische Belege aus anderen Weltgegenden, etwa aus Südostasien, dass schlechte sanitäre Einrichtungen zusammen mit einer hohen Populationsdichte, einem anderen Umgang mit Tieren und einer viel häufigeren Verwendung von Antibiotika die Risiken sehr stark erhöhen. Es gibt dort also viele Handlungsmöglichkeiten. Generell geht es immer darum, die Barrieren entlang der möglichen Verbreitungsweg zu stärken, das gilt sowohl für das Infektions- wie auch für das Reservoirrisiko. Die Auswirkung einer einzelnen Massnahme auf das Resistenzreservoir ist jedoch viel weniger deutlich als bei Infektionsrisiken.
Wo sehen Sie noch Wissenslücken?
Wir verstehen relativ gut, wie Resistenzen vom Menschen oder vom Tier in die Umwelt gelangen. Weniger klar ist der Link in die andere Richtung. Wie kommen Resistenzen aus der Umwelt in die Darmflora? Und: Können sie sich dort längerfristig etablieren? Die Wirkungsketten mit Fliessgewässern, Grundwasser, Boden und Nahrung sind lang, komplex und nur beschränkt kausal. Wir wissen aber, dass alles miteinander verbunden ist: One Health, One Water, One World.
Kurzbio Helmut Bürgmann
Dr. Helmut Bürgmann leitet seit 2006 die Forschungsgruppe Mikrobielle Ökologie an der Eawag, dem Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs. Nebst der Ausbreitung und Evolution von Antibiotikaresistenz in Gewässern untersucht er mikrobiologische Prozesse im Stickstoff-, Kohlenstoff- und Schwefelkreislauf von Oberflächengewässern und in der Abwasseraufbereitung, sowie die Beziehung von Diversität, Struktur und Funktion in mikrobiellen Populationen.
- Webseite HEARD *In der internationalen Initiative "Halting Environmental Antimicrobial Resistance Dissemination" (HEARD) quantifizieren 14 Partnerinstitutionen in einem gemeinsamen Netzwerk die Rolle von Kläranlagen bei der weltweiten Verbreitung von antimikrobiellen Resistenzen
- NFP 72-Projekt "Resistenzen aus Kläranlagen in Schweizer Bächen und Flüssen" (Das Projekt ist in die HEARD-Initiative eingebettet.)
- Aktuelle Publikationen