Spitäler und Forschende heben Datenschätze im Verbund
Medizinische Institutionen und Forschende müssen sich vernetzen, um Daten fruchtbar zu machen. Am Universitätsspital Basel laufen derzeit die Fäden von zwei neuen Netzwerken zusammen.
Erst die Menschen vernetzen, dann die Daten
Big Data und personalisierte Medizin – zwei Schlagworte versprechen Grosses im Gesundheitswesen. Allerdings ist die personalisierte Medizin generell noch wenig vorangekommen, schliesst eine im Mai 2018 publizierte Studie der ETH Zürich. Der Hauptgrund: Daten werden zu wenig getauscht und sind schlecht zugänglich für Forschende und medizinische Institutionen. Doch Fortschritte in der personalisierten Medizin hängen letztlich davon ab, dass grosse Mengen an molekularen und klinischen Daten, aber auch solche zu Lebensgewohnheiten von Patienten, gesammelt, verlinkt und für verschiedene Zwecke und Analysen gebraucht werden, so die Autoren der Studie.
"Um das zu erreichen, müssen wir als erstes funktionierende Netzwerke aufbauen, an denen sich Spitäler und Forscher beteiligen", sagt Adrian Egli, Leiter Klinische Mikrobiologie des Universitätsspitals Basel. Und genau das ist seine Mission: Netzwerke mit allen Universitätsspitälern und Universitäten gemeinsam aufbauen. In einem Projekt des NFP 72 vernetzt er seit anfangs 2018 die Laboratorien mehrerer Spitäler und Tierkliniken, um genetische Daten von Erregern in einer zentralen Datenbank zu analysieren. Dabei sollen Verwandtschaften zwischen einzelnen Erregern erkannt werden, um deren Ausbreitungswege zeitlich und geographisch präzis zu erfassen. "Damit könnten wir die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen viel genauer nachverfolgen und Ausbrüche viel schneller erkennen und bekämpfen", so Egli.
Nur harmonisierte Daten lassen sich vergleichen.
Gleichzeitig leitet Adrian Egli die "Personalized Swiss Sepsis Study", die vom Swiss Personalized Health Network finanziert wird und Anfang 2018 gestartet ist. Mit dieser baut er eine Infrastruktur zwischen den Intensivstationen der Schweizer Universitätsspitäler und mehreren klinischen und auf Grundlagen fokussierten Forschungsgruppen auf. Diese erheben während des gesamten Verlaufs einer Sepsis umfassende molekulare und genetische Daten von Patienten und Erregern. Die Daten werden nun zusammengeführt, um mit Hilfe von Forschungsgruppen der ETH Zürich unter Leitung von Karsten Borgwardt mittels künstlicher Intelligenz Muster zu erkennen. Das Ziel ist, eine bakterielle Sepsis mittels digitalen und molekularen Biomarkern früher feststellen zu können und ihren Verlauf für individuelle Patienten besser als derzeit vorherzusagen.
Abgesehen von den jeweiligen unmittelbaren wissenschaftlichen Inhalten teilen beide Projekte ein gemeinsames Ziel: Zeigen, dass auch in der Schweiz das Pooling medizinischer Daten zu Infektionskrankheiten und Mikrobiologie möglich und sinnvoll ist. "In diesem Bereich sind uns viele Länder weit voraus", so Egli. Dass es in der Schweiz noch nicht soweit ist, liegt zum Teil daran, dass die meisten Kantons- und Universitätsspitäler eigene IT-Systeme haben, Daten unterschiedlich ablegen und benennen. Aitana Lebrand, klinische Bioinformatikerin im NFP-Projekt, erklärt: "Wir müssen nun gemeinsam entscheiden, welche Daten geteilt werden. Und eine Nomenklatur definieren, die wir konsistent auf alle Daten anwenden." Diese einheitliche Sprache sei die Voraussetzung, dass Daten von verschiedenen Institutionen in einer gemeinsamen bioinformatischen Pipeline analysiert und verglichen werden können.
Patienten informieren, Datenschutz sicherstellen
Noch bevor diese Arbeit aber überhaupt angegangen werden kann, stellt sich ein ganz anderes Hindernis, wie Egli sagt: "Viele Institutionen und Forschende sind zurückhaltend, ihre Daten weiterzugeben. Einerseits aus Datenschutzgründen, aber auch, weil sie sie selber wissenschaftlich auswerten wollen". Tatsächlich gilt es in Hinsicht auf den Schutz von Patientendaten einiges zu klären, will man sie innerhalb von grösseren Netzwerken teilen. Doch das das sei eine überschaubare Hürde, meint Egli. Denn für Forschungszwecke sind die Daten auch in anonymisierter Form wertvoll. Angepasst werden müssen allerdings Einverständniserklärungen und die vorangehende Patienteninformation.
Für die beteiligten Institutionen und Forschenden bedeutet die Kooperation zunächst zusätzlichen Aufwand. Die Daten müssen neu nach gemeinsamen Richtlinien aufbereitet und in ein neues System eingespiesen werden. Doch es liege klar auf der Hand, dass grössere Datenmengen mehr und repräsentativere Rückschlüsse ermöglichen, so Egli. Das ist ein wichtiger Anreiz. Denn gemeinsam können Forschende so grosse und wichtiges Fragen angehen. Auch seltene Krankheitsbilder oder Komplikationen lassen sich mit mehr Daten besser untersuchen.
Im Netzwerk geht, was man alleine nicht leisten kann.
"Viele Institutionen produzieren immer mehr genomische Daten. Um diese zu poolen und analysieren, sind sie auf eine gesicherte High Performance Computing-Infrastruktur angewiesen", erklärt Aitana Lebrand. Diese stellt im NFP-Projekt das Schweizerische Institut für Bioinformatik SIB zur Verfügung, wo Lebrand als Projektmanagerin angestellt ist. Täglich steht sie in Kontakt mit den klinischen Partnern und den verschiedenen Experten des SIB, welche die gemeinsame Datenplattform aufbauen werden. Auch im Sepsis-Projekt spielen Bioinformatiker und Mathematikexperten der ETH Zürich eine Schlüsselrolle; das selbstlernende System der Datenanalyse basiert auf neusten Softwaretechnologien.
Die Zusammenarbeit in Netzwerken bringt also nicht bloss eine grössere Evidenzbasis, sondern ermöglicht ganz neue Forschungsansätze und Methoden. Davon profitieren letztlich alle, die Daten beisteuern –insbesondere auch der einzelne Patient, der zukünftig präzisiere Diagnosen zu einem früheren Zeitpunkt erhält. Das möchte Egli mit seinen Pionierprojekten zeigen: "Sind wir erfolgreich, können wir die Basis für künftige Forschungs-Infrastrukturen legen, die uns in vielen Gebieten schnell weiterbringen werden. Damit Big Data und personalisierte Medizin von vielversprechenden Schlagworten möglichst schnell zu handfesten Vorteilen für Patienten werden."