"Der gutschweizerische Kompromiss ist oft die beste Lösung"

Interview mit Nadine Metzger, die bis Ende Mai 2021 Bundesvertreterin im NFP 72 war.

​​​​​Die Erkenntnisse des NFP 72 sollen in die nationale Strategie Antibiotikaresistenz StAR einfliessen. Um dies sicherzustellen, fungierte die Co-Projektleiterin von StAR im Bereich Tier​, Nadine Metzger, während der letzten drei Jahre als Bundesvertreterin im NFP 72. Aber schon zuvor war sie als Mitarbeiterin des BLV eng mit dem Forschungsprogramm verbunden und stand von Beginn weg in Kontakt mit Forschenden und Leitungsgruppe. Nun wird sie im Juni 2021 das BLV und StAR verlassen und die Rolle der Bundesvertreterin weitergeben. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen als Mittlerin zwischen Verwaltung und Wissenschaft.

Frau Metzger, als Bundesvertreterin im NFP 72 haben Sie während der letzten drei Jahre eine Brückenfunktion zwischen Verwaltung und Forschung wahrgenommen. Was genau war Ihre Aufgabe?

Im engeren Sinn sollte ich die Anliegen der Verwaltung, in diesem Fall der vier Bundesämter, die in die nationale Strategie Antibiotikaresistenz StAR involviert sind, in das Forschungsprogramm einbringen. Und umgekehrt Erkenntnisse und Bedürfnisse aus dem NFP 72 in die Verwaltung tragen.

Was heisst 'im engeren Sinn'?

Ich konnte in den letzten Jahren ein wertvolles Netzwerk mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufbauen. Das gilt übrigens auch für andere Mitarbeitende der StAR-Bundesämter. Dabei war das NFP 72 zwar der Anlass und Hauptfokus, doch sind die entstanden Beziehungen über das NFP 72 hinaus enorm wertvoll.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im BLV benötigten wir wissenschaftliche Unterstützung, um beispielsweise neue Therapieleitfäden für Tierärztinnen und Tierärzte zu erstellen. Da wir über gute Kontakte verfügten, konnten wir unkompliziert auf mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zugehen. Diese übernahmen die wissenschaftlichen Arbeiten und wir konnten uns auf die Projektdurchführung konzentrieren – eine fruchtbare Zusammenarbeit für alle. Das geht nur, wenn bereits ein gegenseitiges Verständnis und eine Vertrauensbasis da sind. Und dazu hat der Austausch im Rahmen des NFP 72 sehr viel geleistet.

Meinen Sie gegenseitiges Verständnis in fachlicher Hinsicht?

Das teilweise auch. Doch öfter fehlt eine klare Vorstellung davon, was überhaupt die ​Aufgabe der jeweils anderen Seite ist, was sie leisten kann und was eben nicht. So haben sich etwa an der ersten Programmtagung des NFP 72 mehrfach Forschende im Gespräch befremdet darüber gezeigt, dass wir seitens der Bundesämter gewisse Massnahmen nicht einfach umsetzen. Massnahmen, deren Wirksamkeit gegen die zunehmenden Antibiotikaresistenzen als wissenschaftlich belegt gilt, wie etwa strikte Verbote gewisser Antibiotika in der Landwirtschaft. Ich musste erklären, dass das so einfach nicht geht, da die Bundesämter verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigen müssen und auch vielen Zwängen unterliegen.

Können Sie das kurz erläutern?

Die Bundesämter erhalten ihre Aufträge von der Politik, umsetzen müssen sie diese immer innerhalb der bestehenden Gesetze und Verordnungen sowie mit einem gegebenen Budget. Zudem können Ziele verschiedener Bundesämter zu Interessekonflikten führen. Wenn etwa ein Wirtschaftssektor zugunsten der Reduktion von Antibiotikaresistenzen massive Einbussen erleiden würde, wäre ein anderes Ziel gefährdet. Der bekannte gutschweizerische Kompromiss ist in unserer Arbeit deshalb oft der beste Weg. Doch der braucht Zugeständnisse von allen Seiten. Und oft viel Zeit. Wenn man aber mal so weit kommt, führt er zu praktisch umsetzbaren und tragfähigen Lösungen.

Sie haben also zunächst mal ganz grundsätzlich die Arbeitsweise der Bundesämter aufgezeigt?

Ja, denn wenn mal klar ist, dass wir zwar nicht einfach alles schnell per Gesetzesdekret erledigen und auch nicht alles finanzieren können, öffnet sich der Blick für andere Wege. Oft agieren wir als Vermittler, indem wir unsererseits wichtige Erkenntnisse an die richtigen Partner herantragen, dafür sensibilisieren, auch neue Inhalte in die Ausbildung einbringen. Und wenn wir etwas zur Umsetzung empfehlen, hat das durchaus Gewicht.

Hat Sich umgekehrt in gewissen Punkten auch Ihr Blick auf die Forschung verändert?

Nicht grundsätzlich, ich habe ja selbst einen wissenschaftlichen Hintergrund. Ich bin mir bewusst, dass Forschung keine Erfolgsgarantie geben kann, sondern immer ergebnisoffen ist. Und doch kommen Missverständnisse vor, vor allem wenn sogenannt angewandte Forschung grosse Hoffnungen weckt, diese dann aber nicht erfüllt werden. Da treffen sich manchmal überhöhte Erwartungen und zu grosse Versprechen, und zwar zu etwa gleichen Teilen. Umso wichtiger ist es wiederum, dass wir uns austauschen, und zwar nicht erst dann, wenn die finalen Resultate eines Projekts vorliegen, sondern auch regelmässig schon während der Forschungsphase.

Um Enttäuschungen zu vermeiden?

Eher um möglichst viel praxisrelevante Information aus der Forschung zu ziehen. Für uns sind ja nicht bloss publikationsreife Resultate spannend. Wir wollen auch nicht eine wissenschaftlich erarbeitete Massnahme um ihrer selbst willen absolut exakt umsetzen, sondern wir sind froh um jedes einzelne Puzzleteil, das wir ganz pragmatisch in unseren Bemühungen einsetzen können. Für uns haben Forschende viel mehr zu bieten als sie selbst oft glauben. Genau deshalb ist der Austausch zwischen Wissenschaft und Verwaltung, der sich hier in den letzten Jahren entwickelt hat, so wertvoll.

​Hat dieser Austausch Bestand? Oder wird er abbrechen, wenn das NFP 72 zu einem Ende kommt?

Es ist sicher an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir in Zukunft diesen Informationsfluss aufrechterhalten können. Klar haben sich mittlerweile Beziehungen entwickelt, die Bestand haben werden. Doch gerade in einem so komplexen Thema wie Antibiotikaresistenzen sollten wir Strukturen schaffen, die den Austausch langfristig sicherstellen. Aber was ich auch deutlich gesehen habe: Es hängt sehr viel vom persönlichen Engagement jeder einzelnen Person ab. Man muss diesen Austausch wirklich wollen. Wenn man sich darum bemüht, ist er enorm fruchtbar und bringt immer wieder beide Seiten voran, manchmal auch auf unerwartete Weise.