Persistente Bakterien könnten das Problem verschlimmern
Nicht nur Resistenz kann ein Grund sein, dass eine Behandlung mit Antibiotika nicht anschlägt, sondern auch Persistenz.
Neue Erkenntnisse zu diesem Phänomen wurden am EMBO-Workshop "Bacterial Persistence and Antimicrobial Therapy" vom 10.-14. Juni in Ascona präsentiert und diskutiert. Mit dabei waren auch die Biophysikerin Nathalie Q. Balaban und die Mikrobiologin Sophie Helaine. Im Interview sprechen sie über Ursachen und Folgen von Persistenz und mögliche Zusammenhänge mit Antibiotikaresistenzen.
Prof. Balaban, Dr. Helaine, es ist allgemein bekannt, dass Bakterien eine Resistenz gegen Antibiotika entwickeln können. Aber was ist eine Persistenz?
N. Balaban : Persistenz ist die Fähigkeit von Bakterien, eine Behandlung mit Antibiotika zu überleben, ohne resistent zu sein. Normalerweise betrifft dies nicht die ganze Population sondern nur eine Unterpopulation der Bakterien.
S. Helaine : Die Bakterien werden persistent, indem sie das Wachstum stoppen. Es ist bekannt, dass Bakterien, die nicht wachsen, weniger anfällig auf Antibiotika sind als Bakterien, die sich aktiv teilen.
Die Bakterien verfallen also in eine Art Winterschlaf, und deswegen können ihnen Antibiotika nichts mehr anhaben?
N. Balaban : Ja, so könnte man es ausdrücken.
Bei einer Resistenz sind Bakterien oft nur resistent gegen bestimmte Antibiotika oder Antibiotika-Klassen. Ist das bei einer Persistenz auch so?
N. Balaban : Normalerweise schützt das reduzierte Wachstum oder der reduzierte Stoffwechsel im Ruhezustand gegen mehr als ein Antibiotikum. Wenn man verschiedene Antibiotika-Klassen einsetzt, sind sie also immer noch persistent.
Und was passiert mit diesen ruhenden Bakterien, wenn die Behandlung mit Antibiotika abgeschlossen ist?
S. Helaine : Wenn keine Antibiotika mehr im Spiel sind, dann wachen einige dieser Bakterien auf und können sich wieder vermehren. Möglicherweise passiert genau das, wenn es bei einer Infektion einen Rückfall gibt.
Wurden solche Persistenzen auch schon im klinischen Alltag nachgewiesen oder bisher nur im Labor?
N. Balaban : Im Spital werden verschiedene Tests durchgeführt, die eine Resistenz nachweisen können. Das Problem mit persistenten Bakterien ist, dass sie in diesen Tests wie normale Bakterien aussehen, die nicht resistent sind. Man bräuchte andere Tests, um herauszufinden, ob sie persistent sind. Also wurden persistente Bakterien bis jetzt noch nicht in Patienten gefunden?
N. Balaban : Doch, wir können spezifische Tests dafür durchführen. Wenn wir Bakterien aus Patienten isolieren und in der Petrischale testen, dann finden wir Bakterienstämme, die einen persistenten Phänotyp aufweisen. Allerdings ist noch nicht klar, wie wichtig dies in Wirklichkeit für die Infektionen ist. Aber wir finden persistente Phänotypen in bestimmten Infektionen, und es scheint, als ob Persistenzen häufiger werden, je weiter die Krankheit fortschreitet.
Es gibt Stimmen, die warnen, dass persistente Bakterien bald zu grossen Problemen im Gesundheitswesen führen könnten. Sehen Sie das auch so?
S. Helaine : Tatsache ist, dass viele Infektionskrankheiten schwierig zu behandeln sind, obwohl keine Antibiotika-Resistenz vorliegt. Wenn es zu Rückfällen kommt und immer wieder die gleiche Infektion auftritt, weil persistente Bakterien überleben, dann braucht es eine wiederholte Behandlung mit Antibiotika. Und das ist problematisch in einer Zeit, in der wir den Einsatz von Antibiotika eigentlich reduzieren wollen. Ausserdem hat Nathalie [Balaban] gezeigt, dass eine Persistenz die Entstehung von Resistenzen begünstigen kann. Persistente Bakterien, die eine mehrfache Behandlung mit Antibiotika überleben, könnten zu einer Verschlimmerung des Problems der Antibiotika-Resistenz führen.
Für welche Krankheiten sind solche persistenten Bakterien bisher nachgewiesen worden?
N. Balaban : Die einzige Krankheit, für die es bis jetzt einen direkten Beweis für einen Zusammenhang zwischen einer Infektion und Persistenz gibt, ist die Cystische Fibrose, eine unheilbare Erbkrankheit. Patienten mit Cystischer Fibrose haben mit chronischen Lungeninfektionen zu kämpfen, die oft zu einem frühen Tod führen. Je weiter diese Krankheit fortschreitet, umso mehr persistente Bakterienstämme werden in ihren Lungen gefunden. In Bakterien, die im Labor von Kim Lewis [von der Northeastern University in Boston] aus den Lungen von Patienten isoliert wurden, fanden sich auch Mutationen, die mit einer Persistenz in Verbindung gebracht werden. Es gibt auch noch einige andere Krankheiten, die nicht durch Antibiotika geheilt werden, obwohl keine Resistenz vorliegt, beispielsweise Infektionen des Bluts oder der Harnwege. Allerdings ist noch nicht klar, ob dies wirklich an Persistenzen liegt.
Dr. Helaine, in Ihrem Labor arbeiten Sie mit Salmonellen. Können diese Bakterien auch Persistenzen entwickeln?
S. Helaine : Salmonellen sind hauptsächlich verantwortlich für zwei Arten von Krankheiten. Die eine ist eine Magen-Darm-Entzündung, bei der es eigentlich keine Rückfälle gibt. Aber je nach Salmonellenart oder Zustand des Immunsystems der Patienten können Salmonelleninfektionen auch auf den ganzen Organismus übergreifen und Krankheiten wie Typhus auslösen. Diese Patienten haben möglicherweise aufgrund von Persistenzen ein hohes Rückfallrisiko.
Ist schon bekannt, welche Mechanismen dazu führen, dass Bakterien wie Salmonellen in einen Ruhezustand fallen, der sie persistent macht?
S. Helaine : Es gibt noch keinen Konsens über einen allgemeingültigen Mechanismus, der für alle Bakterienstämme unter allen Bedingungen gilt. Es gibt anscheinend viele parallele Wege, wie Persistenzen entstehen können, und es sind schon einige verschiedene Mechanismen identifiziert worden. Bei einer Salmonelleninfektion ist es definitiv Stress, der dazu führt, dass sie aufhören zu wachsen und persistent werden. Wenn die Salmonellen in den Körper eindringen, treffen sie dort auf Makrophagen, Zellen des Immunsystems, die Krankheitserreger identifizieren und auffressen können. Diese Umgebung löst eine Stressantwort in Salmonellen aus und führt dazu, dass sie das Wachstum einstellen. Wenn sie einmal aufgehört haben zu wachsen, ist es praktisch unmöglich, sie abzutöten.
N. Balaban : Wir sehen ganz allgemein, dass üblicherweise ein Stress-Signal benötigt wird, um Zellen in einen Ruhezustand zu versetzen. Ausser Makrophagen können auch andere Stressfaktoren eine Persistenz bewirken, zum Beispiel ein Hungerzustand oder eine saure Umgebung, wie wir hier am Workshop gehört haben. In vitro wurde auch gezeigt, dass ein Teil der Persistenzen sogar durch die Zugabe von Antibiotika ausgelöst wird.
Gibt es Ideen, wie man persistente Infektionen bekämpfen könnte – Antibiotika funktionieren ja nicht?
N. Balaban : Es gibt Substanzen, von denen bereits gezeigt wurde, dass sie gegen Persistenzen helfen. Eine dieser Substanzen bringt die Bakterien dazu, ihre eigenen Vorräte aufzubrauchen, auch wenn sie nicht wachsen. Eine andere Art von Studien versucht, die persistenten Zellen aus ihrem Ruhezustand herauszuholen, um sie so wieder gegen Antibiotika empfindlich zu machen. Es gibt auch persistente Bakterien, die nicht gegenüber allen Antibiotika persistent sind. Deswegen gibt es auch Untersuchungen, die verschiedene Kombinationen von bekannten Antibiotika ausprobieren.
S. Helaine : Wir haben uns sehr darauf konzentriert herauszufinden, wie sich persistente Bakterien bilden. Aber im Moment glaube ich nicht, dass es sehr realistisch ist, die Bildung persistenter Bakterien zu verhindern. Wir versuchen jedoch zu verstehen, was die persistenten Bakterien benötigen, um während einer Infektion zu überleben. Das könnte uns zeigen, wie wir den Bakterien das Überleben erschweren und sie so loswerden könnten.
Glauben auch Ärzte und Kliniker, dass Persistenz wichtig ist? Oder fokussieren diese mehr darauf, Resistenzen zu verhindern?
N. Balaban : Ich glaube, es ist noch zu früh zu sagen, dass Persistenz im klinischen Umfeld wichtig ist. Aber es ist definitiv auch zu früh zu sagen, dass Persistenz unwichtig ist. Die Forschung geht momentan in die Richtung, den Zusammenhang zwischen Resistenz und Persistenz besser zu verstehen. Aber hier liegt noch viel Arbeit vor uns.
Kurzbios
Nathalie Q. Balaban ist Professorin für Biologische Physik an der Hebrew University of Jerusalem. Mit Unterstützung des ERC [European Research Council] erforscht sie unter anderem den Zusammenhang zwischen Ruhezustand, Persistenz und der Evolution von Resistenz in Bakterien. Ausserdem hat sie quantitative Tests zum Nachweis von persistenten Bakterien entwickelt.
Dr. Sophie Helaine ist Senior Lecturer am Zentrum für Molekulare Bakteriologie und Infektion am Imperial College London. Seit 2014 untersucht sie mit Unterstützung des Medical Research Council (UK) die Mechanismen von Persistenz in Salmonellen während einer Infektion. Im Februar 2018 erhielt sie für ihre Forschung einen ERC Starting Grant, um zu untersuchen, wie persistente Bakterien wieder aus dem Ruhezustand aufwachen.
Der EMBO-Workshop "Bacterial Persistence and Antimicrobial Therapy" wurde organisiert von Christoph Dehio (Präsident NFP 72), Dirk Bumann und Urs Jenal (beide Forschende im NFP 72). Im NFP 72 untersucht Urs Jenal am Biozentrum der Universität Basel in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Basel die Bildung von persistenten Pseudomonas aeruginosa Bakterien in Patienten mit Cystischer Fibrose.
Im Rahmen des EMBO-Workshops fand eine öffentliche Veranstaltung zum Thema Antibiotikaresistenzen statt. Prof. Dr. Jean-Claude Piffaretti, Direktor von Interlifescience, präsentierte die wichtigsten Entwicklungen und diskutierte im Anschluss mit dem Publikum. Der Anlass wurde vom Biozentrum der Universität Basel in Zusammenarbeit mit dem NFP 72 und Congressi Stefano Franscini/ETH Zürich organisiert.