Das "Freiluftkalb" braucht viel weniger Antibiotika
Erfreuliche Resultate der "Freiluftkalb"-Studie: Der Verbrauch von Antibiotika sinkt auf ein Fünftel. Nun wird untersucht, wie sich dies auf die Resistenzsituation auswirkt.
Das in einem NFP 72-Projekt erprobte "Freiluftkalb-Konzept" unterscheidet sich von der gängigen Praxis vor allem in drei Punkten: Erstens werden Kälber für die Mast nur von in der Nähe gelegenen Betrieben zugekauft und ohne Kontakt mit anderen Kälbern in den Mastbetrieb transportiert. Zweitens kommen sie nicht sofort in eine grössere Gruppe, sondern zunächst – im Sinne einer Quarantäne – in Einzeliglus im Freien. Zudem werden sie gegen Lungenentzündungen geimpft.
Drittens verbringen die Kälber die restliche Zeit ihrer durchschnittlich fünfmonatigen Mastdauer in kleinen Gruppen von maximal 10 Tieren, ebenfalls im Freien, wo sie über ein Gruppeniglu und einen überdachten, eingestreuten Auslauf verfügen. Dieses Konzept wurde in 19 Schweizer Kälbermastbetrieben umgesetzt und mit 19 traditionellen Herden der gleichen Region verglichen.
Drastische Antibiotikareduktion
Das Resultat ist eindeutig: In Betrieben mit dem neuen Konzept erhielten die Kälber während der gesamten Mastzeit fünfmal weniger Antibiotika als in den Vergleichsbetrieben. Gemessen in der international gebräuchlichen Einheit "tägliche Dosen pro Tierjahr" (daily doses per animal year) entspricht das rund 6 Tagesdosen bei den Freiluftkälbern gegenüber rund 31 bei jenen der Vergleichsgruppe – womit die traditionelle Haltung im Vergleich mit anderen europäischen Ländern etwa im Durchschnitt liege, so Studienleiterin Mireille Meylan.
Weniger Lungenentzündungen
Dank Quarantäne und Impfung zu Beginn der Mast lässt sich dies vermeiden. Aber nicht bloss diese Massnahmen zu Beginn der Mast reduzierten den Antibiotikaeinsatz. Auch die bessere Gesundheit der Tiere während ihrer gesamten Lebensdauer trägt zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes bei: Auf den Betrieben ohne Freiluft-Konzept erhielt über die Hälfte der Tiere während ihrer Lebenszeit mindestens einmal Antibiotika, bei den Freiluftkälbern nur noch rund jedes sechste.
Dies vor allem, weil sie weniger Symptome für Lungenentzündungen aufwiesen, wie die Forschenden bei monatlichen Besuchen feststellten. "Lungenentzündungen sind nämlich der Hauptgrund für antibiotische Behandlungen von Mastkälbern", so Tierarzt Jens Becker, der den Grossteil der Betriebsbesuche durchgeführt hat.
Auswirkung auf Resistenzbildung
Nebst dem Verbrauch von Antibiotika an sich wollten die Forschenden auch dessen Einfluss auf die bakterielle Resistenzsituation messen. Zu diesem Zweck haben sie bei allen Kälbern jeweils zu Beginn der Mast und kurz vor der Schlachtung je zwei Proben entnommen.
"Eine Probe entnahmen wir jeweils im Rachen, weil sich dort gehäuft Bakterien der Gattung Pasteurellen finden, welche unter bestimmten Umständen zu einer Lungenentzündung führen können", sagt Becker.
Gleichzeitig entnahmen sie mittels eines Abstrichs aus dem Enddarm noch Proben der Darmbakterien E. coli. Diese sind zwar normale Bewohner des Darms, da sie aber konstant präsent seien, könne man bei ihnen die Entwicklung von Resistenzen gegenüber Antibiotika gut verfolgen.
Den Zusammenhang unmittelbar beobachten
Dass diese wiederum mit Anzahl und Dauer von Antibiotikabehandlungen in Zusammenhang steht, wies Mireille Meylan zusammen mit Kollegen erst jüngst in einer anderen Studie nach. "Wir haben Proben aus über vierzig Mastbetrieben untersucht", sagt sie. "Dabei sahen wir ein klares Muster: Höhere Resistenzraten gegenüber gewissen Antibiotika waren mit erhöhter Häufigkeit von Gruppenbehandlungen mit diesen Wirkstoffen assoziiert".
Doch erst die nun laufende Auswertung der Proben aus der Freiluftkalb-Studie könne unmittelbar aufzeigen, wie sich eine Veränderung in der Tierhaltung und die damit verbundene Reduktion des Antibiotikaeinsatzes auf die Entwicklung der Resistenzsituation auswirkten.