Forschende, Politikerinnen und Praktiker tauschen sich aus
Wo steht die Schweiz im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen? Einen Überblick gaben Experten anlässlich des Symposiums "Antibiotikaresistenzen" in Bern.
Damit Antibiotika auch künftig gegen Infektionskrankheiten wirksam bleiben, braucht es die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten. Darüber waren sich die mehr als 80 Teilnehmenden des Symposiums einig, welches am 14. November in Bern stattfand. Zu dem Anlass mit dem Titel "Antibiotikaresistenzen – wo stehen wir?" hatte der Fachverband für öffentliche Gesundheit, Public Health Schweiz, eingeladen.
Ziel war es denn auch, die Vernetzung und den Austausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren der verschiedensten Bereiche zu fördern. Das Interesse war gross: Neben Forschenden des NFP 72 nahmen Vertreter von Human- und Tierärztevereinigungen, des Schweizerischen Apothekerverbands, von Spitälern, kantonalen Gesundheitsämtern, Forschungseinrichtungen und Pharmaunternehmen sowie der Weltgesundheitsorganisation WHO teil.
Forschung verstärkt die nationale Strategie
Mehrere Referentinnen und Referenten gaben in Kurzvorträgen einen Überblick über die aktuelle Situation, unter anderem zum Stand der nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR). Diese fokussiert stark auf den One Health-Ansatz, um die Wirksamkeit von Antibiotika langfristig für Mensch und Tier sicherzustellen. In den meisten Bereichen von StAR sind bereits Massnahmen ergriffen worden, es gäbe kaum weisse Flecken, erklärte Karin Wäfler, StAR-Projektleiterin beim Bundesamt für Gesundheit. Als erfreulich bezeichnete sie, dass der Einsatz bestimmter kritischer Antibiotika in der Tiermedizin in den letzten zwei Jahren um bis zu 25 Prozent gesunken ist.
Allerdings bleibt noch viel zu tun. Und in vielen Bereichen fehlen notwendige Instrumente und Handlungsempfehlungen. Diese zu entwickeln, ist Aufgabe der Wissenschaft. Für Pascal Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit (BAG), ist es deshalb ein Glücksfall, dass zeitgleich zu StAR das NFP 72 läuft: "Die Forschungserkenntnisse werden Wissenslücken füllen und damit die Strategieumsetzung effizienter machen".
In welchen Bereichen die Forschung nach Lösungswegen sucht und was zu erwarten ist, setzte Christoph Dehio, Präsident des NFP 72, den Zuhörenden auseinander. Entsprechend dem umfassenden One-Health-Ansatz, auf dem sowohl die schweizerische wie internationale Strategien basieren, ist die Wissenschaft in unterschiedlichen Gebieten gefordert. Die Projekte des NFP 72 sind deshalb in drei Schwerpunkte gegliedert: Forschung zur Entstehung und Verbreitung von Resistenzen, Entwicklung schnellerer Diagnoseverfahren und neuer Wirkstoffe sowie Ansätze für einen gezielteren Einsatz von bereits verfügbaren Antibiotika. Dehio wies aber auch darauf hin, dass neue Erkenntnisse allein nicht genügen: "Damit wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis Wirkung entfalten, braucht es bei der Umsetzung die langfristige und entschiedene Unterstützung durch Politik und Behörden."
Die Nähe zur Praxis ist entscheidend
Im Folgenden zeigten mehrere Referate konkrete Beispiele für Forschungsprojekte in den unterschiedlichen Gebieten. Hanspeter Nägeli, Professor am Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie an der Universität Zürich, stellte die Online-Plattform AntibioticScout vor, die er und sein Team im Rahmen des NFP 72 entwickeln. Die Plattform gibt Tierärzten praxisnahe Unterstützung und dient gleichzeitig als Meldesystem für Resistenzen. "Wir suchen das Gespräch mit Praktikern und nutzen ihr Feedback, um die Plattform fortlaufend weiter zu entwickeln", sagte Nägeli. Ausserdem erheben die Forschenden derzeit, wie sich die Nutzung des Tools auf den Antibiotikaverbrauch auswirkt.
Im Bereich Humanmedizin berichtete Laurence Senn, Präventivmedizinerin am Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) und ebenfalls NFP 72-Forscherin, vom Sensibilisierungsprogramm, welches sie und ihr Team an neun Spitälern der französischen Schweiz durchführen. Die Forschenden testen, ob Spitalärztinnen und -ärzte Antibiotika gezielter einsetzen, wenn ihre Verschreibungspraxis regelmässig ausgewertet wird und sie Rückmeldungen dazu erhalten. Um Fortschritte zu erzielen, sei eine fortlaufende Sensibilisierung wichtig, insbesondere in der Ausbildung von jungen Ärzten, ist Senn überzeugt.
"Wir werden in den nächsten Jahren grosse Fortschritte sehen."
In der Podiumsdiskussion, die im Anschluss an die Vorträge stattfand, ging es unter anderem auch um die Rolle der Patienten. Wie gehen Ärzte damit um, wenn Patienten mit Antibiotika behandelt werden wollen, obwohl das bei ihrer Erkrankung therapeutisch nicht sinnvoll ist? Carlos Quinto, Mitglied des Zentralvorstandes FMH, sieht hier die Ärztinnen und Ärzte gefordert: "Man muss sich die Zeit nehmen, um die Patienten entsprechend aufzuklären". Auch Apothekerinnen und Apotheker spielen eine wichtige Rolle bei der Wissensvermittlung. In einem weiteren Diskussionspunkt ging es um den Preis von Antibiotika: Diese sind mittlerweile sehr günstig und kosten oft deutlich weniger als ein diagnostischer Test oder eine Impfung. Das führt insbesondere im Tierbereich dazu, dass zu schnell zu Antibiotika gegriffen wird. Ausserdem bedingen die niedrigen Preise, dass Firmen kaum einen Anreiz haben, neue Wirkstoffe zu entwickeln. Es wäre jedoch falsch, die Schuldigen in einem einzelnen Bereich zu suchen, sagte Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten am BAG. "Alle Bereich haben enormes Verbesserungspotential – und in allen werden wir in den nächsten Jahren grosse Fortschritte sehen".