Bei den Ärztinnen und Ärzten ansetzen
Weltweit nehmen resistente Bakterien zu. Dass Ärztinnen und Ärzte zu viele oder nicht die richtigen Antibiotika verschreiben, spielt dabei eine bedeutende Rolle.
10 Millionen Tote pro Jahr ab 2050 wegen Antibiotikaresistenzen und damit verbundene Kosten von bis zu 100 Milliarden US-Dollar: Solche Prognosen findet der Infektiologe und NFP 72-Forscher Benedikt Huttner vom Universitätsspital Genf unseriös, reisserisch und letztlich kontraproduktiv. Zumal das Problem durchaus real ist: Die Anzahl der resistenten Bakterien nimmt zu.
Betroffen sind insbesondere Südostasien, Südamerika, Afrika und der Mittelmeerraum. "Gleichzeitig sterben jedes Jahr noch immer Hunderttausende Kinder, weil sie keine Antibiotika erhalten", gibt Benedikt Huttner zu bedenken, "wir haben also auf der einen Seite Resistenzen, weil die Leute zu viel Antibiotika einnehmen, die sie nicht brauchen. Und auf der anderen Seite Patienten, die sie brauchen würden, aber nicht erhalten."
Irrationaler Einsatz untergräbt den Nutzen
Dass ausgerechnet die wichtigste Waffe zur Bekämpfung bakterieller Infektionen selber zu einer Gefahr werden kann, hat viel mit ihrem "irrationalen Einsatz" zu tun. Davon spricht man in Fachkreisen, wenn Antibiotika unnötig, falsch dosiert, für die falsche Dauer oder für eine bestimmte Krankheit falsch indiziert verschrieben werden. Über die vielfältigen Gründe für die irrationale Verschreibung von Antibotika und wie sie sich eindämmen liessen, hat Benedikt Huttner an der diesjährigen International Conference on Prevention & Infection Control in Genf referiert.
Fehlendes oder falsches Wissen auf Seite der Patienten spielt dabei, seiner Meinung nach, in der Schweiz eine eher untergeordnete Rolle. Die Wirksamkeit von Aufklärungskampagnen sieht er deshalb kritisch. Es gibt Zahlen und Studien, die ihm recht geben. So hängt der Erfolg von Antibiotikakampagnen nachweislich mit dem Grundverbrauch von Antibiotika in einem Land zusammen. Doch selbst dort, wo dieser hoch ist, bleibt der Einfluss gezielter Informationsmassnahmen relativ gering.
"Truth amnesia" – da war doch was...
In Frankreich etwa werden auch nach jahrelangen Bestrebungen der Gesundheitsbehörden im Vergleich zur Schweiz nach wie vor rund zwei- bis dreimal so viele Antibiotika abgegeben. "Den Patienten Wissen vermitteln allein genügt nicht", sagt Benedikt Huttner und weist darauf hin, dass Aufklärung dort, wo es um komplexe Zusammenhänge im Bereich der öffentlichen Gesundheit geht, manchmal sogar eine gegenteilige Wirkung entfalten kann. Eine Studie aus Italien (1) etwa zeigt, dass nach einer Kampagne mit der Botschaft "Antibiotika bekämpfen Bakterien, gegen Viren hingegen sind sie wirkungslos" die Verwirrung am Ende grösser war als zuvor.
"Truth amnesia" wird dieses Phänomen genannt: Man erinnert sich zwar, dass da irgendetwas mit Viren, Bakterien und Antibiotika war, aber nicht mehr, wie das alles genau zusammenhängt. Und nicht immer lassen sich effiziente Massnahmen in allgemeingültige Botschaften verpacken. So gilt die bei der Tuberkulose nach wie vor eiserne Faustregel "Antibiotika immer bis zum Ende nehmen" in anderen Fällen eben gerade nicht: Eine zu lange Einnahme kann die Entstehung und Verbreitung von Resistenzen begünstigen – und zwar insbesondere wenn Antibiotika, siehe oben, unnötig oder falsch indiziert abgegeben werden.
Nicht immer konsequent
Bei den Ärztinnen und Ärzten anzusetzen scheint Huttner in der Schweiz deshalb viel aussichtsreicher. Denn von einem rationalen Gebrauch von Antibiotika – einer der wichtigsten Massnahmen, um die Entstehung und Verbreitung resistenter Keime zu verhindern und zu begrenzen – sind auch sie oft weit entfernt. Das ist manchmal auf mangelndes Wissen zurückzuführen und darauf, dass es in der Schweiz lange keine entsprechenden Guidelines gab.
Doch auch wo die nötige Kenntnis vorhanden wäre, handeln Ärzte nicht immer konsequent. Da sie offenbar nicht sehr gut darin sind einzuschätzen, was Patienten tatsächlich von ihnen erwarten, verschreiben sie, etwa bei viral bedingten Erkältungskrankheiten, Antibiotika oft wider besseres Wissen. Ein schlechter Ratgeber kann auch die Angst sein: "Wer einmal erlebt hat, wie aus einer Mittelohrenentzündung mit schwerem Verlauf eine lebensbedrohliche Hirnhautentzündung wird, der gibt Antibiotika lieber einmal zu viel und ist dafür auf der sicheren Seite, obwohl derartige Komplikationen sehr selten sind", erklärt Huttner.
Schnell verschreiben statt lange erklären
Schliesslich kann es, wo die Zeit knapp ist, auch bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten hapern. Und manchmal ist es schlicht einfacher, ein Antibiotikum zu verschreiben, als lange zu erklären, welche Alternativen es gäbe. Zwei weitere spezifisch schweizerische Punkte konterkarieren, laut Huttner, hierzulande den rationalen Einsatz von Antibiotika: So wird bei uns, statt der exakten Anzahl Tabletten für die verschriebene Therapie, meist die ganze Packung abgegeben – die überzähligen Pillen können die Patienten zu einer späteren Selbsttherapie verführen. Und in den Deutschschweizer Kantonen, die es Ärzte mit eigener Praxis erlauben, Medikamente uneingeschränkt selber abzugeben, verdienen diese an der Antibiotikaabgabe mit.
Support für eine bessere Verschreibungspraxis
Mit seinen zwei NFP-72-Projekten will Benedikt Huttner dazu beitragen, den Antibiotikagebrauch im Krankenhaus zu verbessern – dort also, wo resistente Keime angesichts vieler Schwerkranker auf engstem Raum besonders gefährlich sind. Zum einen mit einem direkt im elektronischen Patientendossier integrierten Tool, das Spitalärztinnen und Spitalärzte dazu bringt, Antibiotika bewusster einzusetzen und die eigene Verschreibungspraxis fortlaufend zu evaluieren. Im zweiten Projekt liefert eine App Ärztinnen und Ärzten in Echtzeit aktuelle Guidelines und testet, ob das die Qualität der Verschreibung verbessert.
(1) https://www.bmj.com/content/347/bmj.f5391