Antibakterielle Waffen aus der Phyllosphäre
Mit neuen Methoden haben Forschende der ETH Zürich an teils überraschenden Orten vielversprechende Kandidaten für neue Medikamente entdeckt.
Porträt/Projektbeschrieb (abgeschlossenes Forschungsprojekt)
Bisher kaum erforschte Lebensräume
Viele der heute verwendeten Antibiotika wurden auf der Basis von Naturstoffen entwickelt, die Bakterien selber produzieren, um andere Bakterien abzuwehren. Gesucht und gefunden hat man diese Stoffe vor allem im Boden. Doch darüber hinaus gibt es in der Natur eine enorme Vielfalt an Mikroben mit grossem Wirkstoffpotential, das bisher kaum erschlossen ist. Dazu zählen etwa Bakterien auf Pflanzen oder in Meereslebewesen. In jedem dieser Lebensräume stehen Bakterien in Konkurrenz um ein begrenztes Nahrungsangebot. Das führt dazu, dass sie unterschiedlichste Stoffe produzieren, um sich gegen andere Bakterien durchzusetzen und zu verteidigen.
Doch nicht alle Bakterien sind gleich aktiv in der Herstellung biologisch aktiver Substanzen. Ein Team um Jörn Piel und Julia Vorholt von der ETH Zürich hat deshalb bioinformatische Methoden entwickelt und verwendet, die direkt aus der bakteriellen Erbinformation schliessen können, ob ein Organismus antibiotisch wirksame Stoffe produzieren könnte. Und falls das der Fall ist, schätzen die Suchwerkzeuge ab, ob es sich um neuartige Stoffe handeln könnte oder um bereits bekannte. Dies ist für die Antibiotikaforschung äusserst wichtig, denn sie sucht nach neuen Verbindungen mit Wirkmechanismen, die sich von denen der jetzigen Medikamente deutlich unterscheiden – und deshalb bestehende Antibiotikaresistenzen überwinden könnten.
Mehrere Antibiotika mit neuartigen chemischen Strukturen entdeckt
Jörn Piel und Julia Vorholt haben zunächst hunderte von Bakterienarten unter anderem auf Blattoberflächen, in Pflanzenwurzeln und in Meeresschwämmen identifiziert. In weiteren Studien haben sie die von den gefundenen Bakterienarten produzierten Stoffe isoliert und auf ihre chemischen und pharmakologischen Eigenschaften getestet. So haben sie eine ganze Reihe an antibiotisch wirkenden Stoffen mit bisher unbekannten chemischen Strukturen entdeckt. Dazu gehört etwa eine von den Forschenden Macrobrevin benannte Substanz, die von Bakterien produziert wird, die auf der Blattoberfläche der in Europa häufig vorkommenden Wildpflanze Acker-Schmalwand siedeln.
Für einige der vielversprechendsten neu entdeckten Substanzen konnten die Forschenden anschliessend Verfahren entwickeln, die eine synthetische Herstellung ermöglichen. Denn die Mengen natürlich produzierter Wirkstoffe sind in Umweltbakterien oft niedrig, was eine grosse Hürde für weitere Forschungen zur Medikamentenentwicklung darstellt. Die Entwicklung von Arzneimitteln erfordert umfangreiche zusätzliche Tests, die über die anfängliche Entdeckung hinausgehen. Mehrere Substanzen werden nun diese Tests durchlaufen. Und weitere Kandidaten dürften folgen, denn das Projekt hat eindrücklich gezeigt, dass die Natur an den unterschiedlichsten Orten immer noch viele bisher neue Antibiotika bereithält. Die nun entwickelten Methoden tragen dazu bei, sie systematisch aufzuspüren.
Stand: November 2021
Originaltitel
Ecosystem- and genome-guided antibiotic discovery