"Entscheidend ist die Einwilligung der Patientinnen und Patienten"

Susanne Driessen, Präsidentin von swissethics, spricht über ethische Fragen, die sich stellen, wenn genetische Daten von Krankheitserregern mit Patientendaten verknüpft werden.

Forschende des NFP 72 entwickeln eine Plattform, in der national zentralisiert und routinemässig genetische Daten von Krankheitserregern aus Menschen, Tieren und der Umwelt mit Patientendaten wie Alter, Symptome etc. verknüpft werden könnten. Ihr Ziel: Ausbrüche und Verbreitungswege gefährlicher antibiotikaresistenter Erreger weit detaillierter und schneller als bisher erkennen – und somit effizienter eindämmen. Dass sich dabei auch ethische und rechtliche Fragen stellen, erklärt im lnterview Susanne Driessen, Präsidentin von swissethics, der Dachorganisation der Schweizer Ethikkommissionen für die Forschung am Menschen.

Frau Driessen, wo kommt die Ethik ins Spiel, wenn man genetische Daten von Bakterien, Viren und Pilzen mit Patientendaten ihrer Träger in Verbindung setzt?

Sobald man aus solchen Daten Rückschlüsse auf Personen ziehen kann, stellen sich Fragen nach dem Schutz von Persönlichkeit und Würde des Menschen. Denn es ist denkbar, dass sich für Einzelne negative Konsequenzen ergeben.

An was denken Sie?

Ein Beispiel ist etwa, wenn jemand mit sexuell übertragbaren Krankheiten in Verbindung gebracht wird. Solche Informationen reichen weit in die Privatsphäre, und nicht alle möchten sie teilen.

Es geht also um Datenschutz?

Ein zuverlässiger Datenschutz ist wichtig, aber eher eine technische Frage. Die ethische Beurteilung ist grundlegender. Für die Forschung am Menschen müssen wir die vier bioethischen Prinzipien vor Augen haben, nämlich ‘die Autonomie des Individuums wahren’, ‘etwas Gutes tun’, ‘nicht schaden’ und ‘gerecht sein gegenüber dem Individuum, aber auch gegenüber der Gesellschaft’.

Spielt da nicht doch der Datenschutz die zentrale Rolle? Denn ist dieser gegeben, dürfte niemand zu Schaden kommen, zugleich ist die Surveillance von grossem Nutzen für alle.

Ich teile diese Ansicht weitgehend. Es gibt allerdings eine entscheidende Herausforderung: Man darf diese Daten nur mit Einwilligung der Patientinnen und Patienten für Forschungszwecke verwenden. Die Einwilligung ist eine freiwillige Entscheidung und somit Ausdruck des ethisches Grundprinzips der Autonomie.

Was ist, wenn die Daten verschlüsselt werden?

Wenn zum Beispiel ein Spital verschlüsselte Patientendaten an diese Plattform weitergibt, kann man im Bedarfsfall – etwa bei einer klaren Bedrohungslage für die Bevölkerung – trotzdem sehr schnell via dieses Spital eine einzelne Person ausfindig machen. Das ist ja Teil der Idee, und auch richtig. Es erfordert dann aber eben das Einverständnis jeder Patientin und jedes Patienten, ihre Proben und Daten in diesem Sinne zu verwenden.

Es müssten also alle Patientinnen und Patienten speziell angefragt werden?

Hier gibt es zwei Wege. Entweder, sie willigen in einen sogenannten spezifischen Konsent ein, wie er oft für einzelne Forschungsprojekte eingeholt wird. Das heisst, man informiert ganz genau über die konkrete Verwendung und fragt, ob man die Daten hierfür nehmen darf. Das ist für Surveillance nicht realistisch. Nicht zuletzt, weil man eigentlich konstant möglichst alle Patientinnen und Patienten erfassen will, noch bevor man weiss, ob sie dann allenfalls Träger von resistenten Erregern sind.

Oder?

Man arbeitet mit dem Generalkonsent. Mit diesem können Personen, die im Spital oder auch ambulant behandelt werden, ganz generell in die Weiterverwendung ihrer Daten und Proben für die Forschung einwilligen. Es geht dabei um den allgemeinen Zweck und nicht um konkrete Projekte. Dabei ist der Umgang mit Daten klar geregelt, etwa, dass sie immer verschlüsselt werden.

Am Symposium "One Health meets Sequencing" wiesen jedoch Forschende darauf hin, dass auf diese Weise die Surveillance lückenhaft bliebe, weil eben nicht alle Patientinnen und Patienten einwilligen.

In den Universitätsspitälern willigt bereits ein Grossteil aller eintretenden Patientinnen und Patienten in den Generalkonsent ein. In Zürich werden rund siebzig Prozent beim Spitaleintritt angefragt, und davon stimmen wiederum rund 80 Prozent der Weiterverwendung ihrer Daten und Proben zu. Die Zahlen in den anderen grossen Spitälern sind teilweise ähnlich, also recht hoch. Man könnte die Daten und Proben all dieser Personen bereits jetzt für die Surveillance weiterverwenden. Das ist, was der aktuelle rechtliche Rahmen ermöglicht.

Wäre es denkbar, zugunsten der öffentlichen Gesundheit auf eine Lösung zu wechseln, in der es als gegeben angenommen wird, dass jemand seine Proben und Daten für diesen Zweck weitergibt, und wer das nicht will, muss aktiv widersprechen? Eine Lösung in dieser Richtung ist etwa bei der Organentnahme in der Schweiz absehbar und in wird in anderen Ländern schon praktiziert.

Eine solche Widerspruchslösung ist in Bezug auf die nicht-genetischen personenbezogenen Gesundheitsdaten im Humanforschungsgesetz sogar vorgesehen – um eben die Forschung zu erleichtern. In Verbindung mit der Verwendung genetischer Daten von Proben wird das aber sehr kompliziert. Denn Patientinnen und Patienten müssten dann zwischen genetischen und nicht-genetischen Daten und Proben unterscheiden und das in Abhängigkeit vom Verschlüsselungs- oder Anonymisierungsgrad. Das heisst, sie müssten zu unterschiedlichen Dingen spezifisch einwilligen oder widersprechen. Wir haben bisher die Erfahrung gemacht, dass das in der Praxis zu weit geht, weil es sehr schwer verständlich und zu schwierig zu vermitteln ist. Und dann stellt sich die ganz grundsätzliche Frage, ob genetische Daten überhaupt noch anonym sein können.

Es wurde am Symposium auch die Frage aufgeworfen, ob man basierend auf Artikel 34 des Humanforschungsgesetzes auf eine Einwilligung verzichten könnte, was dieser für Ausnahmefälle zulässt.

Ich denke nicht, dass Routinesurveillance auf einem Artikel für Ausnahmefälle basieren kann. Allenfalls könnte man Artikel 34 anwenden, um in einem Pilotprojekt in einem genau abgesteckten Rahmen sämtliche Daten rückwirkend zu analysieren. Das ergäbe eine Vergleichsmöglichkeit zur jetzigen Situation, wo wir halt nur vielleicht siebzig bis achtzig Prozent erfassen können.

Sollte sich so oder auf andere Weise zeigen, dass die Ausweitung der Surveillance einen erheblichen Mehrwert für die öffentliche Gesundheit bringt, was würde es dazu aus ethischer und gesetzlicher Sicht benötigen?

Angesichts der zunehmenden Bedrohungslage durch die antimikrobielle Resistenz ist eine gute Surveillance sicher sinnvoll. Soll sie wirklich umfassend werden, wäre dazu eine nationale Regelung nötig, die für alle Kantone gleichermassen gilt. Diese könnte vom Bundesamt für Gesundheit ausgearbeitet und gesetzlich verankert werden. Meiner Ansicht nach muss darin allerdings für Einzelpersonen zumindest die Möglichkeit zum Widerspruch erhalten bleiben. Doch im Moment kann ich leider keine Patentlösung anbieten, wie sich das in der Praxis umsetzen lässt.

  • Interview Jürg Danuser, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, Leiter Gruppe One Health beim Bund
  • Symposium "One Health meets Sequencing"