Resistente Bakterien mit Viren bekämpfen
Forschende der ETH Zürich modifizieren Enzyme aus Phagen – natürlichen Feinden der Bakterien – und schicken diese gezielt in infizierte Gewebe.
Staphylococcus aureus Bacteriophage (Foto mit freundlicher Genehmigung von J. Klumpp)
Mit der Entdeckung der Antibiotika gerieten andere Ansätze zur Behandlung von Infektionen ab Mitte des letzten Jahrhunderts weitgehend in Vergessenheit – darunter die Phagentherapie. Doch nun, da antibiotikaresistente Bakterien zu einem immer grösseren Problem werden, setzt die Forschung wieder vermehrt auf Phagen. Diese Viren sind natürliche – und tödliche – Feinde der Bakterien.
Das machen sich die Mikrobiologen Martin Loessner und Mathias Schmelcher vom Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich zunutze. "Heute verfügen wir über entsprechende Techniken um Phagen gezielt zu manipulieren, und auch über die Bedingungen, um medizinische Studien unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen", so Loessner.
Die Zellwand durchlöchern
Im Gegensatz zur klassischen Phagentherapie arbeiten die Zürcher Forscher nicht mit ganzen Phagen. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die von den Phagen produzierten Endolysine. Mit Hilfe dieser Enzyme schneiden Phagen Löcher in die Zellwand von Bakterien. Denn so können sie diese verlassen, nachdem sie sie als Wirte für ihre eigene Vermehrung genutzt haben. Und da Bakterien mit einer stark durchlöcherten Zellwand absterben, haben Endolysine ein grosses Potential für die Bekämpfung von bakteriellen Infektionen.
Zudem haben sie einen weiteren entscheidenden Vorteil: Nach bisherigen Erkenntnissen können Bakterien keine Resistenzen dagegen entwickeln. Denn die Struktur der bakteriellen Zellwand – der Angriffspunkt der Endolysine – ist stark konserviert und kann nicht verändert werden, ohne die Lebensfähigkeit der Bakterien zu beeinträchtigen. Ausserdem können Endolysine auch von aussen an die Zellwand ansetzen und müssen im Gegensatz zu den meisten Antibiotika nicht ins Innere der Bakterien vordringen. Dadurch umgehen sie viele der gängigen Resistenzmechanismen.
Maximaler Effekt durch intelligentes Design
Auf der Basis dieser Endolysine haben Loessner und Schmelcher in den letzten Jahren eine Reihe von potentiellen neuen Wirkstoffen entwickelt. «Wir haben die natürlichen Bausteine der Endolysine verändert, wie Legosteine auf neue Art und Weise zusammengesetzt und so gänzlich neue, optimierte Enzyme geschaffen», erklärt Schmelcher. Diese enthalten beispielsweise ein Element, das an die Zellwand der Bakterien bindet, sowie weitere Elemente, die an verschiedenen Stellen Löcher in die Zellwand schneiden. Weitere Modifikationen – die teilweise schon getestet werden – könnten beispielsweise eine zu starke Immunantwort im Patienten verhindern oder die Zirkulationsdauer im Blut verlängern.
Aus einer Bibliothek von mehr als 400 solcher massgeschneiderten Enzyme filterte das Forscherteam nun mehrere vielversprechende Kandidaten heraus, die in Blutserum besonders gut gegen das Bakterium Staphylococcus aureus wirken. Dieser Krankheitserreger ist – vor allem in der multiresistenten Form (MRSA) – für viele akute und chronische Infektionen beim Menschen verantwortlich.
Biologische Postleitzahlen führen zum Ziel
Für eine noch grössere Effektivität versehen Loessner und Schmelcher ihre Konstrukte zusätzlich mit kurzen Proteinsequenzen, die die Endolysine gezielt zu den Infektionsherden steuern soll. "So wollen wir erreichen, dass sich der Wirkstoff nicht im ganzen Körper verteilt, sondern in den Geweben und Organen konzentriert, wo es wirklich nötig ist", erklärt Schmelcher. Diese Sequenzen sind gewissermassen biologische Postleitzahlen, die spezifisch an eine bestimmte Gewebeart binden und den Wirkstoff in das Innere der Körperzellen hineinschleusen – also genau dorthin, wo sich die Bakterien befinden.
Mittlerweile haben die beiden schon die passenden Postleitzahlen für Zellen der Knochenhaut und des Herzepithels ermittelt – beides Gewebearten, in denen Staphylokokken für gefährliche Infektionen sorgen: Auf den Knochen bilden die Bakterien zum Beispiel nach Einsetzen eines Hüftimplantats häufig einen Biofilm, der besonders widerstandsfähig gegen eine Behandlung mit Antibiotika ist. Und im Herzen setzen sich die Staphylokokken an den Herzklappen fest, von wo aus sie sich über den Blutkreislauf ausbreiten und zu lebensbedrohlichen Blutvergiftungen führen.
Von der Grundlagenforschung zur Therapie
Nachdem die Forschenden die Wirksamkeit ihrer Substanzen erfolgreich in der Petrischale nachgewiesen haben, stehen nun Tests in lebenden Organismen an. Dabei wird sich herausstellen, ob die biologischen Postleitzahlen die Wirkstoffe tatsächlich an die richtige Adresse befördern. Hierfür arbeiten die Mikrobiologen eng mit der Ärztin Annelies Zinkernagel von der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich zusammen.
"Wir haben die Grundlagen entwickelt, aber die Erprobung im Mausmodell können wir ohne Praktiker aus der Klinik nicht machen", so Loessner, "Es ist ein grosser Vorteil des Forschungsschwerpunkts Antimikrobielle Resistenz, dass die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen gefördert wird." Dadurch entstehe eine Win-win-Situation für alle. Und davon profitieren nicht zuletzt auch die Patienten, die auf neue Therapien gegen bakterielle Infektionen angewiesen sind.